Liebe Hanna,
vielen Dank für deinen Brief. Ich habe mich sehr gefreut, dass du schreiben und lesen gelernt hast. Ich habe dir nie geschrieben, weil ich
erst einmal viel Zeit brauchte um über viele Dinge nachzudenken. Ich habe mich auch schuldig gefühlt, denn ich habe dir während der Gerichtsverhandlung nicht geholfen. Ich hätte dich entlasten können, zumindest teilweise, denn ich wusste ja, dass du Analphabetin warst. Nach dem Prozess war ich nicht mehr ich selbst. Mir liefen andere Dinge durch den Kopf und war deswegen sehr stark
abgelenkt. Wie hätte ich dir den da schreiben können. Ich konnte dich nie vergessen. Ich habe wirklich jede meiner Freundinnen mit dir verglichen und als ich merkte, dass du es nicht warst, war ich ein bisschen enttäuscht. Es war einfach nicht dasselbe. Erst nach der Scheidung mit Gertrud, begann sich mein Leben wieder einigermaßen einzuordnen. Von diesem Zeitpunkt an, habe ich auch angefangen, dir aufgenommene Kassetten zu schicken. Wie ich sehe, bist auch du dir über einige Sachen klar geworden. Du hast deine Scham überwunden und endlich lesen und schreiben gelernt. Ich kann mir vorstellen, dass die Überwindung deiner Scham dich viel Mühe gekostet haben muss. Schließlich war dein Analphabetismus im Grunde schuld, dass du jetzt im Gefängnis sitzen
musst. Nun ja, über alles weitere können wir uns beim nächsten mal schreiben.
Liebe Grüße
Michael
Nick Möller
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