Erste Erfahrungen mit 15, und das mit einer 36-jährigen! Eine Liebesgeschichte, die anders verläuft, als man vielleicht erwarten würde. Mit detaillierten Beschreibungen und einem nicht immer einfachen aber dennoch erfüllenden Schreibstil zieht Bernhard Schlink den Leser schon gleich zu Beginn des Roman in seinen Bann.
Der junge Schüler Michael Berg trifft durch einen Zufall auf die Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz, was sein Leben für immer verändern sollte. Schon nach kurzer Zeit entwickelt sich ihr Verhältnis zu einer Liebesbeziehung. "Das Vorlesen, Duschen, sich Lieben und noch ein
bisschen beieinander liegen wird zu ihrem Ritual."
Doch sie scheint sich ihm nie völlig zu öffnen. Ihr ambivalentes Verhalten
lässt sie in einem seltsamen Licht erscheinen, was sich bis zu dem Tag steigert, an dem sie plötzlich verschwunden ist. Michael wird sich erst nach langer Zeit sicher,
dass er nicht die alleinige Schuld an ihrem Verschwinden trägt.
Erst nach Jahren sieht er sie wieder - im Gerichtssaal; ohne Robe. Er studiert Jura und nimmt an einem speziellen Seminar teil, das ihm zu einem Prozess führt, in dem sich sechs ehemalige Aufseherinnen eines KZs für ihre Taten verantworten müssen - unter ihnen: Hanna Schmitz.
Nach und nach taucht Michael in die Vergangenheit seiner Geliebten ein und gerät
schlussendlich in den Konflikt eine Verbrecherin geliebt zu haben, da Hanna zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird.
Während des Prozesses entschlüsselt er das Mysterium ihrer sozialen Isolation, er erkennt, welcher Mangel Hannas Leben seit Jahrzehnten bestimmt und ihr alle Kraft genommen hat, sich zum Positiven entwickeln zu können.
In diesem Entwicklungsroman, der im Ganzen aus der Michael-Perspektive erzählt wird, werden gleich mehrere für sich allein schon jeweils sehr komplexe Themen zu einer Handlung verflochten:
Wer hat Schuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten?
Wie müssen wir heute, bes. als Nachkriegskinder, mit dieser Schuld umgehen?
Was ist Schuld und inwiefern kann Krankheit oder Abnormalität diese mildern?
Wie mächtig ist Scham?
Die Darstellung dessen gelingt Schlink, ohne die Zusammenhänge zu undeutlich werden zu lassen. Binnen kurzer Zeit hat man die groben Zusammenhänge des Romans verstanden, aber um die Tiefe einiger Formulierungen zu begreifen, bedarf es schon einer etwas tiefschürfenderen Beschäftigung mit dem Roman.
Dieser ist im Allgemeinen als "sehr lesenswert" zu empfehlen. Nach der Lektüre (und einer etwas genaueren Reflexion) gelingt es, sich in die Charaktere Michaels und Hannas hineinzuversetzen und so bei der Beschäftigung mit der Schuldfrage bezüglich der Nazi-Verbrechen der Maxime "Audiatur et altera pars" (lat. "Auch die andere Seite möge gehört werden!") gerecht zu werden.
|