Liebe Hanna
vielen Dank für deinen
Brief. Ich habe mich sehr gefreut, dass du schreiben und lesen gelernt hast.
Ich habe dir nie geschrieben, weil ich einfach nicht konnte. Ich hoffe, dass du
mich verstehst, schließlich ist es nicht einfach, mit jemandem der einem selbst
so nah stand und bekannt war, aber durch die langjährige Distanz wieder völlig
entfremdet ist., wieder Kontakt aufzunehmen. Ich habe zwar immer daran gedacht,
hatte aber bis zu dem heutigen Zeitpunkt nie den Mut es auch wirklich zu tun.
Weil ich Angst hatte und jetzt auch noch habe. Angst davor, wie und was ich
dich fragen soll. Angst davor deine Antwort zu hören, und sie nicht zu verstehen.
Was ist aber wenn ich die Antwort doch verstehe? Ist das nicht unmenschlich von
mir? War es denn nicht unmenschlich zu wissen, dass du Analphabetin bist, und
es dem Richter trotzdem nicht zu verraten, obwohl es dir bestimmt etwas geholfen hätte? Oder war es überhaupt richtig eine „Verbrecherin“ geliebt zu
haben? Ich kann nicht glauben, Dass ich über dich so rede, über die Frau , die
ich über alles geliebt habe. Bitte verzeihe Mir, doch das sind die Fragen die
ich mir die ganze Zeit stelle. Ich habe die ganze Zeit versucht dich zu
verstehen, aber andererseits kann ich die Grausamkeiten, die an den armen und
unschuldigen Menschen ausgeübt wurden nicht einfach so vergessen. Ich weiß
einfach nicht mehr weiter und hoffe, dass du versuchst mich zu verstehen. Und
mir auch die Fragen beantwortest, warum ausgerechnet du bei so etwas mitgemacht
hast?
Dein Michael Berg
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